Es begann an einem kühlen Aprilmorgen in Hamburg. Die Straßen glänzten noch vom nächtlichen Regen, während ich das Wohnmobil vor meiner Wohnung belud. Ein Abenteuer lag vor mir – drei Monate Roadtrip entlang der europäischen Küsten. Ich war aufgeregt und etwas nervös. War das Wohnmobil wirklich bereit für diese Reise? Hatte ich alles eingepackt? Aber dann beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass ein Roadtrip auch vom Improvisieren lebt.
Die ersten Kilometer verliefen ruhig. Der vertraute Verkehr Hamburgs wich langsam den endlosen Autobahnen Richtung Westen. Meine Playlist, eine Mischung aus Rock-Klassikern und entspannenden Roadtrip-Sounds, untermalte die Fahrt. Kurz vor der holländischen Grenze beschloss ich, die erste Pause einzulegen. Eine unscheinbare Raststätte wurde zum Schauplatz eines kleinen Missgeschicks: Ich hatte das Ladekabel meines Laptops vergessen und musste zurückfahren. Ein früher Vorgeschmack darauf, wie chaotisch die Reise noch werden würde.
Holland: Windmühlen, Käse und ein Campingplatz am Meer
Holland empfing mich mit offenen Armen – und starkem Gegenwind. Die Autobahnen waren von Radfahrern gesäumt, und ich fragte mich, wie sie bei diesem Sturm vorankamen. Mein erster Halt war ein kleiner Campingplatz in Zandvoort, direkt am Meer. Der Wind war so stark, dass ich fast meinen Grill verlor, aber ich genoss die Ruhe und den ersten Sonnenuntergang am Strand.
Einen Tag später fuhr ich nach Amsterdam. Das Parken mit dem Wohnmobil erwies sich als nahezu unmöglich, also beschloss ich, einen der Außenparkplätze zu nutzen und mit der Bahn in die Stadt zu fahren. Die Grachten, die Fahrräder, der Duft von frisch gebackenen Stroopwafels – Amsterdam war ein Traum. Ich lernte eine Gruppe Backpacker kennen, die sich meiner Erzählung über den Roadtrip anschlossen und mich mit Tipps für die weiteren Länder versorgten.
Belgien: Pommes, Pralinen und ein geplatzter Reifen
In Belgien begann der Roadtrip erst richtig interessant zu werden. Brügge, mit seinen malerischen Kanälen und mittelalterlichen Gassen, war wie eine Reise in die Vergangenheit. Allerdings hatte mein Wohnmobil andere Pläne. Auf einer schmalen Straße zwischen zwei Dörfern verlor ich plötzlich die Kontrolle – ein platter Reifen. Mitten im Nirgendwo schien die Katastrophe perfekt, bis ein freundlicher Bauer anhielt und mir half. Er sprach kaum Englisch, aber seine Gesten und sein Lächeln sagten alles. Noch am selben Abend lud er mich auf ein belgisches Bier in seiner Scheune ein. Wir lachten, auch wenn ich kaum ein Wort verstand.
Brüssel war dagegen ein Kulturschock. Von der Ruhe des flachen Landes ging es in die pulsierende Hauptstadt. Nach einem Besuch des Atomiums und einer Überdosis Pommes fühlte ich mich wie ein wahrer Belgier.
Frankreich: Campingplatz-Chaos und ein Hauch von Luxus
Die französische Küste war ein Traum, zumindest meistens. Mein erster Halt war die Normandie. Die Klippen von Étretat waren atemberaubend, doch der kleine Campingplatz, auf dem ich nächtigte, wurde zur Comedy-Show. Meine Nachbarn, eine französische Familie mit zwei Kindern und einem Hund, versuchten verzweifelt, ein Zelt aufzubauen, während der Wind es immer wieder wegwehte. Am Ende half ich ihnen, und wir wurden schnell Freunde. Sie revanchierten sich mit einer Einladung zu einem selbstgemachten Ratatouille.
In der Bretagne wagte ich mich mit dem Wohnmobil auf eine steile Klippenstraße. Die Aussicht war spektakulär, aber mein Herz raste bei jedem scharfen Abbiegen. Die Küste entlang bis Bordeaux wurde die Reise entspannter. Ich probierte Austern in einem kleinen Fischerdorf und fühlte mich wie ein Gourmet.
In der Provence gönnte ich mir einen Hauch von Luxus. Ein Freund hatte mir geraten, in einem kleinen Château in der Nähe von Marseille zu übernachten. Zwar war das Wohnmobil praktischer, aber für eine Nacht tauschte ich es gegen ein weiches Bett und ein Glas Rosé auf der Terrasse.
Spanien: Sonne, Sangria und ein mysteriöser Strandbesucher
Spanien begann mit einem kleinen Kulturschock: Siesta. Ich hatte vergessen, dass hier viele Geschäfte am Nachmittag schließen, und fand mich hungrig in einem verschlafenen Küstenstädtchen wieder. Doch die Einheimischen waren unglaublich freundlich und wiesen mich auf ein kleines Tapas-Restaurant hin, das geöffnet war. Dort lernte ich Carlos kennen, einen Surfer, der mich einlud, am nächsten Tag an einem geheimen Strand zu campen.
Der Strand war tatsächlich ein Geheimtipp – kaum Touristen, kristallklares Wasser und eine kleine Höhle, in der Carlos und seine Freunde eine Party veranstalteten. Doch die Nacht wurde noch spannender: Plötzlich hörten wir seltsame Geräusche aus dem Dunkeln. Es stellte sich heraus, dass ein streunender Hund unsere Vorräte entdeckt hatte. Die Situation löste sich schnell in Lachen auf, und der Hund wurde der heimliche Star der Party.
Portugal: Fado, Fisch und ein unerwartetes Rennen
Portugal überraschte mich. Die Strände der Algarve waren noch beeindruckender, als ich sie mir vorgestellt hatte, und die Menschen unglaublich herzlich. In Lagos lernte ich eine Gruppe von Straßenmusikern kennen, die Fado spielten. Sie luden mich ein, ihnen nach Lissabon zu folgen. Dort angekommen, verbrachte ich zwei Tage damit, durch die hügeligen Straßen zu wandern, Pastéis de Nata zu essen und die Melancholie des Fado in kleinen Bars zu genießen.
Ein besonders lustiges Erlebnis hatte ich in einem kleinen Dorf an der Küste. Ein Einheimischer forderte mich zu einem „Rennen“ heraus – mein Wohnmobil gegen seinen alten Traktor. Ich verlor natürlich, aber der Spaß war unbezahlbar.
Italien: Pizza, Pasta und ein kaputter Kühlschrank
Die italienische Küste war der krönende Abschluss. In Cinque Terre parkte ich das Wohnmobil auf einem Hügel und wanderte durch die bunten Dörfer. Doch der Kühlschrank im Wohnmobil gab plötzlich den Geist auf, und ich musste improvisieren. Ein kleiner Markt in der Nähe rettete mich, und ich verbrachte die Abende mit frischen Tomaten, Mozzarella und einer Flasche Wein.
In Rom fand ich schließlich einen Mechaniker, der den Kühlschrank reparierte – nicht ohne mich vorher auf eine Tour durch die Stadt mitzunehmen. Die engen Gassen und die chaotische Energie der Stadt waren ein krasser Kontrast zur Ruhe der Küste.
Rückreise: Österreich und die Berge
Die Alpen boten eine willkommene Abwechslung zur Küste. In Österreich parkte ich das Wohnmobil in einem kleinen Bergdorf und machte eine Wanderung zu einem Wasserfall. Die frische Luft und die Ruhe waren genau das, was ich nach drei Monaten Abenteuer brauchte.
Der Rückweg: Erinnerungen, Emotionen und ein letzter Stopp in Österreich
Die Rückfahrt aus Italien durch Österreich begann mit einer Mischung aus Erleichterung und Wehmut. Ich war bereit, nach Hause zu kommen, aber ein Teil von mir wollte dieses Abenteuer nie enden lassen. Die Alpen empfingen mich mit schneebedeckten Gipfeln, selbst im Sommer. Der Kontrast zur Hitze der italienischen Küste war erfrischend.
Ich machte Halt in einem kleinen Tiroler Dorf, das wie aus einer Postkarte wirkte. Hier gönnte ich mir eine warme Mahlzeit in einem Gasthof – eine riesige Portion Kaiserschmarrn mit Apfelmus. Die Wirtin, eine ältere Dame namens Frieda, interessierte sich sofort für meine Reise. Sie war begeistert von meinen Erzählungen und verriet mir, dass sie selbst vor vielen Jahren mit ihrem Mann eine ähnliche Tour gemacht hatte – allerdings mit einem VW-Bus und zwei kleinen Kindern im Schlepptau.
Eine unerwartete Begegnung
Während meines Aufenthalts in Österreich passierte etwas, das mir immer im Gedächtnis bleiben wird. Ich war auf einem Wanderweg unterwegs, der zu einem kristallklaren Bergsee führte. Die Natur war so still, dass man nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Wassers hörte. Am Ufer des Sees traf ich auf eine ältere Frau, die auf einem Stein saß und zeichnete. Ihre Zeichnung zeigte den See in all seiner Pracht – mit einem kleinen, bunten Wohnmobil am Rande. Mein Wohnmobil.
„Du bist also der Abenteurer, der hier gestrandet ist?“ fragte sie lächelnd. Wir kamen ins Gespräch, und sie erzählte mir, dass sie früher mit ihrem Mann ähnliche Reisen unternommen hatte, bevor er verstorben war. Jetzt malte sie die Orte, die sie gemeinsam besucht hatten. „Reise, solange du kannst“, sagte sie, bevor sie sich verabschiedete. Ihre Worte begleiteten mich noch lange auf meiner Rückfahrt.
Zurück nach Deutschland: Abschied von der Freiheit
Die letzten Kilometer durch Österreich und Süddeutschland fühlten sich anders an. Es war nicht mehr das gleiche Abenteuergefühl, sondern eine Mischung aus Melancholie und Vorfreude auf das Wiedersehen mit Familie und Freunden. Ich beschloss, mir ein letztes kleines Abenteuer zu gönnen, bevor ich endgültig nach Hause fuhr: einen Abstecher nach München, um den Englischen Garten zu besuchen und ein kühles Bier in einem der berühmten Biergärten zu genießen.
In München parkte ich das Wohnmobil am Stadtrand und fuhr mit dem Rad in die Innenstadt. Es fühlte sich surreal an, wieder in einer deutschen Großstadt zu sein. Die Menschen, die Sprache – alles war so vertraut, aber ich fühlte mich irgendwie verändert. Nach drei Monaten unterwegs hatte ich einen neuen Blick auf die Welt und mein eigenes Leben.
Ankunft in Hamburg: Ein Roadtrip fürs Leben
Als ich schließlich in Hamburg ankam, war es ein regnerischer Nachmittag – fast wie am Tag meiner Abreise. Doch diesmal störte mich der Regen nicht. Ich parkte das Wohnmobil vor meiner Wohnung und blieb noch eine Weile im Fahrerhaus sitzen, um all die Erlebnisse Revue passieren zu lassen.
In diesen drei Monaten hatte ich so viel erlebt: den Nervenkitzel, als mein Reifen in Belgien platzte, die herzlichen Einladungen der Menschen in Frankreich, die ausgelassene Strandparty in Spanien und die Ruhe der Alpen. Ich hatte mich verirrt, improvisiert, gelacht und manchmal auch geflucht. Aber vor allem hatte ich gelebt.
Ein Neuanfang mit neuen Perspektiven
Das Abenteuer hatte mich verändert. Ich begann, die kleinen Dinge mehr zu schätzen – ein spontanes Lächeln, die Schönheit der Natur, die Freundlichkeit von Fremden. Während ich das Wohnmobil ausräumte, fand ich eine kleine Notiz, die ich in Portugal geschrieben hatte: „Genieß die Reise, nicht nur das Ziel.“ Es war ein Satz, der die gesamte Reise zusammenfasste.
In den folgenden Wochen erzählte ich jedem, der es hören wollte, von meinem Abenteuer. Ich teilte meine Erfahrungen, zeigte Fotos und Videos und motivierte Freunde, selbst ähnliche Reisen zu unternehmen. Und tief in mir wusste ich, dass dies nicht mein letzter Roadtrip gewesen war.
Vielleicht würde ich eines Tages wieder die Karte ausrollen, das Wohnmobil beladen und einen neuen Traum verfolgen. Aber bis dahin war ich glücklich, zu Hause zu sein, mit einem Herzen voller Erinnerungen und einer Geschichte, die ich immer wieder erzählen würde.